Die Kunst der Maschinenbedienung – was können digitale Modelle leisten?


Eine Autobahnbrücke wird gebaut: 140 Meter lang ist sie und umspannt ein Naturschutzgebiet. Das Besondere: Im Taktschiebeverfahren wird die Brücke über die Brückenpfeiler geschoben. Damit das millimetergenau klappt, sind digitale Helfer unerlässlich. Wir schildern, wie heutzutage ein solches Brückenbauwerk erstellt wird und welchen Anteil digitale Methoden und Techniken am Gelingen haben.

Ein Vor-Ort-Bericht von Stefanie Samtleben
Bauwerk 24, Anschlussstelle Lüderitz – hier wird eine Brücke gebaut. Ich suche die Baustelle auf der Karte – ist die Autobahn A14 in diesem Abschnitt wirklich parallel zur B189 geplant? Ja klar, für die Planung der Brücken-Baustelle, die Anlieferung von Material und später im Störfall ist eine intakte Bundesstraße genau das richtige. An den Naturschutz in diesem Bereich der Autoabahn ist gedacht, insgesamt stehen bereits vier Brücken für den Wildwechsel bereit. Hier ist rundum alles flach, bewaldet. Wieso also muss hier eine Brücke hin? Ich fahre in den Wald, sehe die gerodete Schneise und plötzlich geht es steil bergab. Der Kuhgrund, Naturschutzgebiet. Hier wird die Brücke gebaut. Alle Details für diese werden dokumentiert. Nicht nur Bruno Timme mit Vermesser-Sachverstand ist immer wieder mit der Kamera und Drohnenflügen dabei. Auch Thomas Knauer beobachtet über solarstromversorgte Kameras, die alle 30 Minuten eine Aufnahme machen, das Geschehen. Er erfasst so, wie sich die Natur langfristig verändert und revitalisiert.

Bruno Timme hingegen dokumentiert im Zeitraffer das sogenannten Taktschiebeverfahren. Denn die Brücke, sie wird rund 140 Meter lang, wird vor Ort gefertigt und dann Stück für Stück über die Pfeiler geschoben. Genauer gesagt: es sind gleich zwei Brücken, denn je Fahrtrichtung gibt es eine Brücke. So wird in 2mal5-Takten gefertigt: eine Brücke je Fahrtrichtung, jeweils fünf Schiebetakte. 
Vor Ort ist eine etwa 30 Meter lange Schalung aufgebaut, in dieser werden die fünf jeweils rund 28 Meter langen Abschnitte gefertigt. An den ersten Abschnitt ist in Schieberichtung ein sogenannter Vorbauschnabel (32 Meter lang) angebracht. Er dient der Justierung und erreicht den ersten Pfeiler und Widerlager als erstes. Ist ein Abschnitt fertig betoniert wird die Brücke vorgeschoben. Gerade so weit, dass der nächste Abschnitt der Brücke betoniert werden kann und eine Verbindung zum vorherigen Abschnitt erhält. Nun beginnt der nächste Takt. 

Der Schiebeprozess ist Präzisionsarbeit, vor allem im ersten Takt ist dafür eine enge Abstimmung zwischen dem Vermesser und dem Brückenschieber notwendig. Das Vermessungsgerät kennt die geobasierten dreidimensionalen Plandaten, sie wurden durch das Vermessungsbüro aufbereitet und auf die Präzisionsgeräte gespielt. Als Grundlage dafür dienten die von Behörden und Prüfingenieuren geprüften 2D-Pläne, die dann vom Vermessungsbüro entsprechend aufbereitet wurden. Zwar ist es möglich, auch Planungsdaten aus dem digitalen Modell und also gleich 3D-Pläne zu nutzen. Jedoch, diese digitalen Modelle werden noch nicht geprüft und somit müsste das Vermessungsbüro diese digitalen Modelle „nachprüfen“, was auch einen gewissen Aufwand bedeuten würde. 

Dem Brückenschieber über die Schulter geschaut

Auf beiden Seiten der Brückenenden ist ein Vermessungsgerät aufgestellt, in die zu schiebenden Brückenteile sind zudem kleine Reflektoren eingelassen, die der Vermesser benötigt, um die Ist-Situation aufnehmen und gegen den Plan abgleichen zu können. Um die Brücke gerade und sicher zum ersten Pfeiler zu bringen, muss hin und wieder die Schieberichtung korrigiert werden. Der Brückenschieber bedient die Maschine, die über Hydraulik mit 100 Bar die gut 4.000 Tonnen schwere Brücke erst anhebt und dann vorschiebt. Dazu hat sie zwei Angriffspunkte, einmal unter dem Standstreifen und der zweite unter der Überholspur. Diese beiden Seiten können im begrenzten Maße unterschiedlich gesteuert, also unterschiedlich weit vorgeschoben werden. So wird eine Korrektur der Schieberichtung möglich. In einem Schritt wird die Brücke maximal 30 cm vorgeschoben. Außer dem Vermesser und dem Maschinenbediener sind an jedem Auflagepunkt der Brücke zwei weitere Mitarbeiter. Das Gleiten der Brücke wird über Teflonplatten erreicht, die mit jedem Schub vorne am Brückenteil herunterpurzeln und hinten wieder eingelegt werden. Die Arbeiten erfolgen an den Brückenpfeilern teilweise in fast 15 Meter Höhe. Die Automatisierung solcher Tätigkeiten, die sehr komplex sind, wird noch sehr lange dauern. Es bleibt die Kunst des Brückenschiebers gemeinsam mit dem Vermesser das Bauwerk präzise fertig zu stellen.

Präzisionsarbeit für die neue Autobahn

Eine zweite Produktionsstätte ist zeitgleich auf der A2 Höhe Barleben aktiv. Direkt an der Autobahn wurde ein Grundstück gepachtet, um das Mischwerk temporär zu errichten. Hier wird das Material (u.a. Kies, Sand, Edelsplit, Zement) zu Ober- und Unterbeton gemischt. Diese Versorgungsstation ist der Mittelpunkt der Autobahnbaustelle, aus beiden Richtungen nämlich wird die Fahrbahn zusammengeführt. Dies erfordert eine hohe Präzision im Millimeterbereich, damit sich die Fahrbahnen auch „treffen“. Zwei riesige Gleitschalungsfertiger – kurz: Fertiger – überspannen die dreispurige Autobahn mitsamt des Standstreifens, ebenso breit ist die dritte Maschine, das Nachbehandlungsgerät. Über diesen Link (panoramen.tib-md.de/190807-waschbetonA14/) gelangen Sie zu einer kleinen Animation, die die Arbeiten der Fertiger illustrieren. Sie fahren im Tross auf Asphalt. Der erste Fertiger baut den Unterbeton ein und setzt alle fünf Meter Dübel längs und Anker quer zur Fahrtrichtung. Über einen Beschicker wird das Oberbetonmaterial über den ersten Fertiger zum zweiten transportiert, welcher den Oberbeton über die vier Spuren verteilt. Die dritte Maschine, das Nachbehandlungsgerät, versprüht eine Emulsion zur Verzögerung des Abbindens des Betons durch vorzeitigen Wasserentzug und bewegt selbstständig große Längsglätter über die Fläche, um alles gleichmäßig zu verteilen.

Millimeter genau vermessenes Drahtgespann

Damit die Maschine in der richtigen Höhe und Richtung bleibt, waren auch hier Vermesser mit höchster Präzision am Werk. Links und rechts von der Fahrbahn sind Drähte gespannt, welche von der Maschine abgetastet werden. Heute hat sie einen Rechtsdrall, die Richtung muss durch den Maschinenbediener immer wieder korrigiert werden, das kostet Zeit. Das Problem muss schnellstmöglich behoben werden. Insgesamt sind sechs Bauarbeiter dabei die Maschine zu steuern und die Qualität der Maschinenarbeit zu prüfen, Ausbesserungen vorzunehmen und die fertigen Abschnitte zu nummerieren. Hinter dem Fertiger fahren zwei Maschinen, die mit Drahtbürsten der Straßenoberfläche wieder etwas Rauigkeit zurückgeben. Im Betonbelag der neuen Autobahn werden wenige Millimeter freigelegt, damit Wasser abfließen und Autos und LKWs nicht ins Rutschen kommen. Die Maschinenbediener haben viel Erfahrung und arbeiten nach Gefühl. Die Kunst des „Endschliffes“ bleibt auch hier dem Menschen vorbehalten und wird sicher nicht so schnell automatisiert.

Auch wenn das digitale Planungsmodell für die Ausführung hier nicht direkt verwendet wurde, gibt es bereits Fertiger, die modellbasiert und damit automatisch über die Baustelle fahren. Diese benötigen dann keinen gespannten Draht, um die Spur zu halten. Allerdings kann es sein, dass die nötige Präzision hier nur durch den zusätzlichen Einsatz von Tachymetern erreicht wird.  Alle 300 Meter müsste dieses Gerät dann umgesetzt, neu ausgerichtet und mit der Maschine gekoppelt werden. Außerdem könnten Sensordaten der Maschine zu Qualitäts- und Höheninformationen über den tatsächlich gebauten Abschnitt in ein Modell übernommen werden. Dies liefert wertvolle Grundlagen für die Bewirtschaftung. Erste Erfahrungen in diesem Umfeld zeigen aber, dass auch hier nicht auf den Vermesser verzichtet werden kann. Dies zeigte ein Versuch: So sollte eine Walze Höheninformationen und die genaue Lage der Straßenkante gleich mit aufzeichnen, doch auch hierfür hätte ein Tachymeter über die kilometerlange Strecke mitgeführt werden müssen. Der Aufwand dafür ist schlicht zu hoch.

Eine weitere Herausforderung ist es, die Daten die von der Maschine erfasst werden, auch im Modell zu verorten. Die BBP-Gruppe hat hierzu eine eigene Lösung entwickelt, die die Daten verknüpft und visualisiert. Diese Möglichkeit bietet ab 2021 auch das um IFCRoad erweiterte IFC-Schema. Es wird möglich sein, Fahrstreifen, Achsen und Gradienten ordnungsgemäß abzubilden und beliebig viele Attribute an Referenzstellen zu hinterlegen. Damit ist laut Štefan Jaud von der TU-München „das Wörterbuch“ geschaffen, um für verschiedene Anwendungsfälle die Anforderungen an die Informationsweitergabe einheitlich zu formulieren. Es ist ein weiterer Standard, umfassender als LandXML und verbreiteter als OKSTRA, welches ein ausschließlich deutscher Standard ist. Auch die Maschinensteuerer wollen nun prüfen, ob die IFCRoad-Erweiterung bereits die Möglichkeit bietet, die nötigen Informationen für die (teil-)automatisierte Steuerung der Baumaschinen zu übermitteln. Und vielleicht wird es bei einem flächendeckendem 5G-Ausbau schon bald möglich sein, die Maschinen auch ohne Draht und Tachymeter millimetergenau zu steuern. Der 5G-Standard ist voll einsatzfähig, wird derzeit aber überwiegend für Anwendungen in der industriellen Produktion diskutiert. Auch hier geht es um hochpräzise, echtzeitfähige Maschinensteuerung. Wie dies für Baustellen genutzt werden kann, müssen Pilotprojekte noch zeigen.


06.05.2021