Welche Rolle spielt die Politik in der fortschreitenden Digitalisierung der Bauwirtschaft?


Wie die Politik den digitalen Wandel in der Bauwirtschaft gestaltet und welche politischen Schritte demnächst zu erwarten sind, erklärt Dr. Jan Tulke, Geschäftsführer der planen und bauen 4.0 GmbH und Leiter des nationalen BIM-Kompetenzzentrums, im Gespräch (Teil 2) mit dem Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Planen und Bauen. Dabei zeigt sich: dem nationalen BIM-Stufenplan, der Vorbildwirkung der öffentlichen Hand und dem neuen Zentrum "BIM-Deutschland" kommen mitunter eine bedeutsame Rolle zu, um die digitale Methode BIM verstärkt in die Breite umzusetzen.

Sie haben in der 38. Öffentlichen Anhörung zum Thema „Digitalisierung des Planens und Bauens“ des Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Anfang des Jahres als externer Sachverständiger fungiert. Was ist Ihr Fazit von der Ausschusssitzung?

Durch die Ausschusssitzung ist in jedem Fall deutlich geworden, dass das Thema noch stärker in das Bewusstsein der Politik gerückt ist. Dass sich der Ausschuss mit diesem Thema befasst und sich darüber Gedanken macht, wie digitale Methoden in der Bauwirtschaft verstärkt in die Breite gebracht werden können, ist ein wichtiges Signal. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass im Infrastrukturbereich die öffentliche Hand mit über 90% Marktanteil der maßgebliche Bauherr ist. Auch im Hochbau ist die öffentliche Hand einer der größten Bauherren - der Anteil dürfte hier aber nicht über die 5% Marke des Bauvolumens hinaus gehen. Deswegen sollte man sich durchaus Gedanken machen, wie ein noch größerer Hebel und eine noch größere Vorbildwirkung der öffentlichen Hand angesetzt werden können, damit die Digitalisierung der Bauwirtschaft durch gezielte Förderprogramme weiterhin unterstützt werden kann.  

Während der Ausschusssitzung wurde oftmals das Thema Pilotprojekte angesprochen. Wie können Pilotprojekte Ihrer Meinung nach verstärkt in die Breite gesetzt werden?

In der Vergangenheit galt es bei Pilotprojekten grundsätzlich zwei Punkte zu beobachten: Auf der einen Seite, ob es überhaupt machbar ist, die BIM-Methode in der Breite anzuwenden, d.h. ob bereits eine Marktreife bzw. Marktgängigkeit erreicht ist. Auf der anderen Seite war es wichtig festzustellen, ob die digitale Methode auch entsprechende Mehrwerte liefern kann. Diese zwei Punkte wurden im Prinzip nachgewiesen und bestätigen die Umsetzbarkeit des BIM-Stufenplans im Infrastrukturbereich. Auch für den Hochbau gibt es einen entsprechenden Erlass, der für Bauvorhaben mit mehr als 5 Mio. Euro Projektvolumen vorschreibt, in den verschiedenen Projektphasen jeweils den Bedarf zur Anwendung digitaler Methoden zu prüfen. Jetzt kann eigentlich nicht mehr die Rede von Pilotprojekten im ursprünglichen Sinne sein, da es in den Projekten nun verstärkt darum geht, die BIM-Methode in der Breite umzusetzen, die Methode immer weiter zu verfeinern, in nächste Anwendungsfälle vorzudringen, um daraus letztendlich Standardarbeitsweisen in Form von Vorgaben, Richtlinien und Normen zu entwickeln. Darüber hinaus sollte man sich aber auch auf Landes- oder Kommunenebene überlegen, wie die Vorbildrolle der öffentlichen Hand initiiert oder entsprechende Angebote bereitgestellt werden können, um auch hier noch mehr Breitenwirkung zu erzielen.

In der Ausschusssitzung wurde auch die Etablierung des nationalen Zentrums für die Digitalisierung des Bauwesens – kurz BIM-Deutschland - vonseiten der Sachverständigen begrüßt. Welche Rolle wird dieses zukünftig für die deutsche Baubranche einnehmen?

Zum einen entwickelt das Zentrum das sogenannte BIM-Portal, welches ausschreibende Stellen wie Bauverwaltungen in der Erarbeitung detaillierter Datenanforderungen unterstützen soll. Auf der anderen Seite widmet sich BIM Deutschland dem Wissensmanagement der Vorhabensträger und stellt entsprechende Informationen, Vorlagen und Prüfwerkzeuge zur Verfügung. In Zusammenarbeit mit den Standardisierungsgremien werden zudem die Themenfelder Normung und Standardisierung durch BIM-Deutschland weiterentwickelt. Ziel ist es, eine nationale Normungsstrategie zu entwickeln, woraus weitere pränormative Projekte entstehen sollen, um in der Projektumsetzung langfristig offene Datenformate zu ermöglichen. Auch werden zu den verschiedenen Baubereichen - Straße, Schiene, Wasserstraße, Hochbau - BIM-Anwendungsfälle detailliert beschrieben und sukzessive in den Projekten angewendet. Ein weiteres Aufgabenfeld umfasst die Erarbeitung von Aus- und Weiterbildungskonzepten für den Verkehrsinfrastrukturbau und den Hochbau des Bundes.

Während der Ausschusssitzung gab es durchaus divergierende Meinungen zum Thema “Trennung von Planung und Ausführung”. Wie sollte man dem Thema begegnen, so dass die BIM-Methode effektiv eingesetzt werden kann?

Zunächst denke ich, dass die Anwendung der BIM-Methode davon unabhängig ist. Dies kann man sowohl in dem einen Modell, als auch in dem anderen Modell umsetzen. Aus Portfolioperspektive des öffentlichen Bauherren ist es jedoch erforderlich, dass die Modelle, die man am Ende letztendlich haben möchte, möglichst gleichstrukturierte Daten aufweisen. D.h. es ist wichtig, die Datenlieferleistung klar zu definieren.  Bei der Vergabe größerer Pakete muss man sich dabei keine Gedanken über die internen Schnittstellen machen, so dass der Bauherr letztendlich weniger vorgeben muss, als bei einer Einzel- und Fachlosvergabe, bei dem er die Datenlieferleistungen an den Vertragsschnittstellen managen muss. Insofern sehe ich das Thema unabhängig davon. Das Argument was oftmals bespielt wird ist, dass wenn man in größeren Paketen vergibt, die Prozesse um Planen und Bauen in einer Hand wären. Dann könnten digitale Prozesse besser abgestimmt werden. Das kann intern durchaus sein solange das an den Bauherren übergebene Modell dessen Vorgaben entspricht. Die Vergabe über Fachlose kommt insbesondere den KMU zu Gute, jedoch wird hierzu eine stärkere Bauherrenkompetenz benötigt, weil bei jeder Übergabe die Schnittstelle genau spezifiziert werden muss: welche Daten werden von welchem Partner oder von welcher vorlaufenden Projektphase benötigt, damit man diese Modelle als Eingangsdaten im nächsten Vergabeverfahren, für das nächste Fachgewerk oder die folgende Phase übergeben kann. Insofern hat man bei einer Einzelvergabe eben mehr Schnittstellen, die intensiver gemanagt werden müssen. Mit klaren Vorgaben durch den Bauherrn ist dies möglich. Als Instrument hierfür dienen die Auftraggeberinformationsanforderungen (AIA) und der BIM-Abswicklungsplan (BAP), die auf Basis der in den BIM Projekten gesammelten Erfahrungen stetig weiterentwickelt werden.

Welche Hebel bestehen vonseiten der Politik, um mittelständische Planungs- und Bauunternehmen im weiteren Digitalisierungsprozess zu unterstützen?

Hier muss man zunächst bedenken, dass mit Blick auf die Förderpolitik immer zwei Seiten involviert sind. Das eine ist das Thema digitale Kompetenz beim Bauherrn, bei den Genehmigungsbehörden, also auf Seiten der öffentlichen Hand. Politische Maßnahmen in diesem Feld dienen dazu, die Einführung digitaler Methoden und die Weiterentwicklung interner Strukturen in öffentlichen Behörden voranzutreiben. Auf der anderen Seite existieren Fördermaßnahmen und Informationsangebote, um die Unternehmen der Baubranche in der Digitalisierung zu unterstützen. Diese zwei Seiten spielen natürlich ineinander. Eine wichtige politische Strategie war grundsätzlich auch, mit dem BIM-Stufenplan frühzeitig auf die erforderliche Digitalisierung aufmerksam zu machen, so dass KMU innerhalb eines ausreichenden Zeithorizonts von fünf Jahren, sich auf die neue Arbeitsweise vorbereiten konnten. Insofern ist es auch die Aufgabe der KMU, das Thema proaktiv aufzugreifen und sich intensiv damit zu beschäftigen. Dabei kann es hilfreich sein, Netzwerke zu bilden, sich beispielsweise in regionalen BIM-Clustern zu beteiligen, um auch von den Erfahrungen und Problemstellungen anderer Unternehmen zu lernen.

Welche politischen Schritte sind demnächst vonseiten der Bundesregierung zu erwarten?

Jetzt wird es sicherlich darum gehen, digitale Methoden verstärkt in die Breite zu bekommen und die Anwendung entsprechend zu verfeinern. Das kann nun alle Bereiche, Vorhabensträger und Organisationen betreffen. Durch das Onlinezugangsgesetz, welches bis Ende 2022 in Bund, Ländern und Kommunen umgesetzt werden soll, wird die Digitalisierung der gesamten behördlichen Prozesse - inklusive des Bauantragsverfahren – zusätzlich vorangetrieben. Gleichzeitig denke ich auch, dass der bisher eingeschlagene Weg – etwa die Weiterentwicklung der Vorbildwirkung der öffentlichen Hand, die Unterstützung der Standardisierung und die Bereitstellung von Informationsangeboten - der richtige Weg ist. Diesen Weg gilt es nun weiter zu gehen und dabei stets die Balance zwischen der Weiterentwicklung der internen behördlichen Strukturen und der Bereitstellung von Unterstützungsangeboten für die Bauwirtschaft zu wahren. Dabei sind alle Seiten eingeladen hieran mit Ihrer Expertise aktiv mitzuwirken – in konkreten Projekten, bei der Normung und Standardisierung und in der politischen Diskussion.

Vielen Dank für das Interview, Herr Dr. Tulke.


24.08.2020