Nachgefragt | Digitalisierung im Bauwesen nachhaltig und zukunftsfähig gestalten


Im Interview mit dem Leiter des Mittelstand-Digital Zentrums Bau, Thomas Kirmayr, sprechen wir über die Rolle der Digitalisierung in aktuell herausfordernden Zeiten und warum in der Verknüpfung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit ein wichtiger Hebel für die Zukunftsfähigkeit der mittelständischen Bau- und Immobilienbranche liegen kann. Genau hier setzt das Mittelstand-Digital Zentrum Bau zukünftig an.

Hohe Bauzinsen, Energiekrise, Fachkräftemangel und Lieferengpässe: Die Bau- und Immobilienbranche sieht sich aktuell vielen Herausforderungen gegenüber. Wie und warum sollen sich kleine und mittlere Unternehmen da noch dem Thema Digitalisierung widmen? 

Weil es gerade die Digitalisierung ist, die uns Antworten auf viele dieser erschwerten Rahmenbedingungen und Zielstellungen liefert. Es ist offensichtlich, dass eine höhere Produktivität in den Abwicklungsprozessen und eine Reduktion von Fehlerkosten maßgeblich mit der Qualität und Verfügbarkeit von Information gekoppelt sind. Gleichzeitig können wir durch digitale Lösungen die operativen Montageprozesse unterstützen und heute aufwendige Dokumentationen und Nachweise automatisieren. Damit entlasten wir den Monteur von zeitaufwendigen Nebenaufgaben und reduzieren Nacharbeiten, die sich wiederum positiv auf den Fachkräftemangel auswirken. Im operativen Gebäudebetrieb sind es heute intelligente nachrüstbare Steuerungslösungen, die ohne große Investitionen für mehr Energieeffizienz sorgen. Was die Lieferengpässe angeht, wird die Digitalisierung sicher nicht unmittelbar eine Lösung darstellen, wenn wir aber an neue Rohstoff- und Bauteilquellen aus dem Rückbau denken, führt kein Weg an digitalen Plattformen zur Erschließung von Wiederverwendungsszenarien vorbei. Zudem resultieren Lieferengpässe häufig auch aus schlechten logistischen Abläufen, wodurch Bauprodukte auf den Baustellen lagern ohne verbaut zu werden. Hier schafft die Digitalisierung mehr Transparenz, besser planbare Abläufe und entspannt somit die Lage der Produktverfügbarkeit. 

Das Mittelstand-Digital Zentrum Bau unterstützt kleine und mittlere Unternehmen bei der digitalen Transformation. Dabei werden die Angebote auch mit Aspekten der Nachhaltigkeit verknüpft. Was bedeutet das genau?

Zunächst müssen wir realisieren, dass in einer komplexen Prozesskette wie der des Planens, Bauens und Betreibens die Lösungen zur digitalen Transformation sehr unterschiedlich aussehen. Entscheidend ist aber, dass die Lösungen Prozessverbesserungen und mehr Wertschöpfung auslösen müssen - Digitalisierung und Building Information Modeling (BIM) also nicht als Selbstzweck, sondern über den erzielbaren Nutzen gesteuert werden muss. Das ist zunächst die Prämisse, der die Lösungen des Mittelstand-Digital Zentrums Bau folgen. Aus diesem Grund bieten wir Lösungen immer im Kontext konkreter Anwendungsbeispiele, Demonstratoren und Best-Practises an. Wir sind davon überzeugt, dass sich vor allem nur solche Lösungen verbreiten, die einfach und wertschöpfend sind und deren Nutzen für Unternehmen klar erkennbar ist. Deshalb zeigt unser Zentrum auch konkrete Anwendungsfälle, wie es dank der Digitalisierung besser gehen kann. Aktuell müssen zudem alle verfügbaren Lösungen stärker am Thema und der Aufgabe der Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Das bedeutet nicht nur zusätzliche Lösungsbausteine zur Ökobilanzierung und transparenten Steuerung von Umweltwirkungen einzubauen, sondern auch die nachhaltige Nutzung von einmal erzeugten digitalen Informationen zu sichern, die heute nur allzu häufig noch an System- und Gewerkegrenzen wieder verloren gehen. Zudem haben wir aber auch erkannt, dass häufig eine Lücke zwischen dem Erkennen und Verstehen eines Potentials aus der Digitalisierung und der konkreten Umsetzung und Implementierung klafft. Als Grund sehen wir die fehlende Zielorientierung eigener Digitalisierungs-Roadmaps, welche die jeweilige Situation, Ausstattung und Ressourcen der Betriebe berücksichtigt. Diese Lücke wollen wir gezielt im neuen Zentrum schließen. 

Wo besteht aktuell der größte Handlungsbedarf der Branche in Sachen Nachhaltigkeit?

In Bezug auf die Bau- und Immobilienbranche als Ganzes erwächst der größte Handlungsbedarf aus der Regulatorik einer EU-Taxonomie-Verordnung, aber noch stärker der Forderungen der Europäischen Zentralbank zur Aufnahme umweltbezogener Faktoren zur Immobilienbewertung. Diese Verordnungen verknüpfen das Thema Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit mit praktisch jeder Neubau- und Sanierungsmaßnahme und ziehen einen sehr großen zusätzlichen Informationsbedarf nach sich. Ohne den Einsatz digitaler Werkzeuge und Methoden ist eine derart umfassende Informationsbereitstellung kaum vorstellbar und wird deshalb der Erzeugung und Verwaltung digitaler Zwillinge und valider und umfassender Informationsmodelle einen ganz neuen Stellenwert einräumen. Auf die Unternehmen bezogen bedeutet das, dass auch sie sich auf diesen stetig anwachsenden Informationsbedarf einstellen müssen. Disziplinen wie Ökobilanzierung, aber auch Zertifizierungssysteme zu den ESG-Anforderungen oder der Nachhaltigkeit als Ganzes, wird man beherrschen müssen, um nicht aufgrund fehlender Informationen aus immer mehr Geschäftsprozessen ausgekoppelt zu werden. Digitalisierung und BIM wechselt meiner Wahrnehmung nach gerade deutlich von der Kür in die Pflicht und ist deshalb auch ein mitentscheidender Faktor der Zukunftssicherung im Mittelstand.

Digital. Nachhaltig. Zukunftsfähig: In diesem Kontext möchte das Mittelstand-Digital Zentrum Bau zukünftig wichtige Impulse setzen. Wie können kleine und mittlere Unternehmen durch die Verknüpfung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit „zukunftsfähig“ werden?

Wie beschrieben bauen diese Faktoren aufeinander auf. Nachhaltigkeit lässt sich ohne transparente Information nicht steuern. Wenn ich keine ökobilanziellen Daten zu den Bauprodukten habe, kann ich keine Umweltwirkung ermitteln und damit beispielsweise keine ESG-Kriterien sichern. Gleichzeitig fehlt mir ohne transparentes Wissen über verbaute Mengen und Materialien das Fundament für eine wertschöpfende und funktionierende Kreislaufwirtschaft. Im Extrem gesprochen kommt es gar nicht mehr zu einer Baumaßnahme, wenn die erforderlichen Informationen zur Umweltwirkung nicht bereitgestellt werden können, da die Bank ohne diese kaum mehr Kredite vergeben kann. Für die Unternehmen heißt das im Umkehrschluss, dass wenn ich weder digitalisiere noch das Thema Nachhaltigkeit in meine Unternehmens-DNA einbaue, ich auch die Zukunftsfähigkeit meines Geschäftsmodells gefährde. Deshalb kommt es noch mehr darauf an, dass wir nicht nur den Wissenstransfer zur Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu den Unternehmen leisten, sondern darüber hinaus dafür sorgen, dass es hierzu auch eine erfolgreiche Implementierung gibt. Genau hier setzen wir als Mittelstand-Digital Zentrum Bau neben dem bekannt intensiven Wissens- und Erfahrungstransfer mit besagten Roadmapping-Angeboten an. Auch werden wir gesichertes Wissen zu Nachhaltigkeitskonzepten vermitteln, um hier die Komplexität etwas zu reduzieren.

Du hast viel Erfahrung im Bereich Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Innovation in der Branche gesammelt. Was sind für dich wichtige Punkte, die du kleinen und mittleren Unternehmen im Kontext der Transformationen mitgeben möchtest? 

Ich denke das wichtigste Signal ist, dass sich kleine und mittlere Betriebe hinsichtlich neuer innovativer Prozesse und Lösungen mehr zutrauen sollen, als sie es bislang oft signalisieren. Gerade die kleinen Betriebe zeichnen sich durch sehr schnelle Adaptionsprozesse neuer Lösungen aus und ich bin davon überzeugt, dass die Unternehmen alles Erforderliche mitbringen, um diese Transformationen erfolgreich zu meistern. Aus meiner Wahrnehmung ist viel häufiger die Scheu oder Angst vor der Veränderung oder dem was sie auslöst, als die Herausforderung selbst. Viele Betriebe, die wir begleiten, gewinnen mit den ersten kleinen digitalen Schritten Zutrauen und Sicherheit und entdecken kontinuierlich neue Optionen, wo es dann schnell in eine eigene Dynamik der Veränderung übergeht. Deshalb wollen wir im Mittelstand-Digital Zentrum Bau mit sehr praxisnahen und einfachen Lösungen noch stärker dafür sorgen, dass ein Anfang genommen wird. Dann wollen wir aber die Betriebe auch weiter betreuen und immer auch ein Ansprechpartner für den nächsten Schritt oder die aktuell zu bewältigenden Probleme sein. Wir sind uns sicher, dass die Hemmnisse immer weniger in der Verfügbarkeit von Lösungen bestehen, als das für den Betrieb optimale und passende Paket zu schnüren und dann in einer sinnvollen Reihenfolge und Priorisierung umzusetzen. Wir begleiten die Unternehmen auf diesem Weg.


13.03.2023