Im Rahmen ihrer Digitalisierungsbestrebungen beschäftigt sich die Bauwirtschaft seit längerem mit digitalen Plattformen, um auf dieser Basis ihre Produkte zu optimieren. Die Umsetzung hakt allerdings oftmals am Detail: In der heterogenen deutschen Baubranche hat sich bis dato noch keine Software durchgesetzt. Stattdessen ist der Markt von unterschiedlichen Lösungen unterschiedlicher Anbieter durchsetzt, die oftmals nicht miteinander kompatibel sind. Dies erschwert nicht nur den Datenaustausch zwischen den Unternehmen. Bisweilen scheitern die Betriebe sogar daran, ihre Daten intern zu harmonisieren, sodass sich die Datenqualität nicht abgleichen lässt. Daneben tauchen immer wieder Legacy-Problematiken auf, also Probleme mit Individualentwicklungen, die seit langer Zeit zum Einsatz kommen. Einerseits wird die Ablösung solcher Systeme aufgrund der damit verbundenen Investitionskosten gern zurückgestellt. Andererseits verursacht das Beibehalten des Altsystems kontinuierliche Kosten für die Infrastruktur und das Personal, sodass beide Lösungen gleichermaßen unbefriedigend sind.
Aktuelle Situation
Besonders deutlich zeigt sich diese Problematik in den Marktbewegungen rings um die Cloud, ein Thema, das hierzulande von drei Akteuren beherrscht wird: Microsoft Azure und Amazon Web Services sowie der Google Professional Cloud. Alle drei Hyperscaler bieten ihren Kunden auf Basis des Cloud Computings IT-Ressourcen an, die sich horizontal in hohem Maß skalieren lassen. Da dabei tausende Server und Storage-Systeme über leistungsfähige Netzwerke miteinander verbunden sind, sind der Skalierbarkeit nach oben hin kaum Grenzen gesetzt. In der Folge ergibt sich für die Nutzer jedoch oft ein Vendor Lock-in: Sie sind von den Produkten oder Dienstleistungen ihres Anbieters so abhängig, dass sich der Wechsel zu einem Mitbewerber wirtschaftlich nicht rechnen würde. Indem sie sich der jeweiligen Infrastruktur verpflichten, schwindet jedoch ihre digitale Souveränität und Transparenz und damit die Chance, ihre eigenen Daten im Sinne einer Wertschöpfungskette gewinnbringend zu verwerten. Durch das Vendor Lock-in verlieren die Unternehmen somit ihre Handlungsfähigkeit.
Der europäische Ausweg
Um einen Ausweg aus diesem Dilemma anzubieten, hat das BMWK 2019 das Projekt GAIA-X ins Leben gerufen. Ziel von GAIA-X ist der Aufbau einer leistungs- und wettbewerbsfähigen, sicheren und vertrauenswürdigen Dateninfrastruktur für Europa, die die Prinzipien der Datensouveränität und Datenverfügbarkeit ernst nimmt. Auf diese Weise möchte GAIA-X dazu beitragen, dass Unternehmen und Geschäftsmodelle aus Europa heraus wettbewerbsfähig sein können.
Die Initiatoren und Akteure hinter diesem Ziel sind Vertreter der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Verwaltung. Zusammen wollen sie ein innovatives System erschaffen, das langfristig zu einem weltweiten Standard der Datenökonomie wird. Zu diesem Zweck setzt das System durchgängig auf sichere, offene Technologien, eindeutig identifizierbare Netzknoten, Software-Komponenten, die auf ein gemeinsames Repository, also gemeinsam verwaltete Objekte, auf sichere GAIA-X-Standards und auf einen einheitlichen Daten- und Serviceraum. Auch das Thema Kreislauffähigkeit und das Ziel, die einzelnen Akteure in ihrer Vielfalt zu unterstützen, gehören zu den Kernkriterien von GAIA-X.
Netzwerk auf Basis von GAIA-X
„Die Stärke Europas besteht in der Verschiedenheit der einzelnen Akteure. Diese Verschiedenheit muss gehebelt werden und damit dies funktioniert, müssen die Akteure vernetzt werden. Dazu braucht es eine offene, souveräne Datenstruktur, die eine Vernetzung auf Infrastrukturebene ermöglicht und High Performance Computing erlaubt. Nur über diesen Weg können sich die Unternehmen hierzulande aus dem Vendor Lock-in befreien“, kommentiert Peter Kraemer von der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, Leiter von GAIA-X, das europaweite Projekt.
Für die aktuellen und künftigen Anwendungsfälle soll GAIA-X als Standard dienen, auf dessen Basis nutzerspezifische Lösungen aufgesetzt werden. „Im Moment arbeiten wir daran, die Ideen von GAIA-X an die Anforderungen der Bauwirtschaft anzupassen“, informiert Kraemer weiter. Dabei geht es darum, Prozesse zu klären, Rechtsrahmen anzupassen und technologische Anforderungen nutzer- und anwenderorientiert so umzusetzen, dass die unterschiedlichen Akteure beim Zugriff auf die Plattform einen Mehrwert erfahren. „Dieser Aufgabe stellt sich das GAIA-X-Hub in Deutschland gerade“, betont Kraemer. Die sich mit Planen, Bauen und Betreiben beschäftigende Arbeitsgruppe setzt sich aus einer Vielzahl von Unternehmen aus den Bereichen Finanzwesen, Energie, Öffentlicher Sektor sowie Planen, Bauen und Betreiben zusammen. Gemeinsam fungiert das Team als zentraler nationaler Koordinator für sämtliche Aufgaben, die sich der Bauwirtschaft im Zusammenhang mit GAIA-X im Moment stellen.
Rahmenbedingungen in der Bauwirtschaft
Dabei stellen sie sich der Frage, wie man mit der Vernetzung von Infrastrukturen und Akteuren datengetriebene Geschäftsmodelle entwickeln kann, um die Digitalisierung der Wertschöpfungskette im Baubereich über den gesamten Bauwerkslebenszyklus hinweg zu ermöglichen. Einzelne Steps sind dabei z.B. die Projektierung, die Planung, der Bauantrag, die Bewilligung im Amt, die Bauphase und schließlich der Gebäudebetrieb. Auch die Kreislaufwirtschaft, also die Weiternutzung der Materialien nach dem Rückbau sowie Smart Building und Smart City sind Themen, die in diese Wertschöpfungskette einfließen und über datengetriebene Geschäftsmodelle bewerkstelligt werden können. Zu den digitalen Anwendungen gehören zudem die Themen Building Data und die digitale Bauakte sowie andere technologische Umsetzungen der Baubranche, die über einen interoperablen Datenaustausch Mehrwerte aus dem durch BIM entstandenen digitalen Zwilling generieren wollen.
Förderwettbewerb iECO
Um derartige Anwendungsfälle und User Cases speziell für Bauwirtschaft zu formulieren, hat das BMWK nun einen Förderwettbewerb ausgeschrieben: Ziel von iECO (Intelligent Empowerment of Construction Industry) ist es, auf Basis von GAIA-X einen gemeinsamen Datenraum für die Bauwirtschaft zu schaffen. Im Fokus steht die Erschaffung eines Digitalen Zwillings für den gesamten Gebäudelebenszyklus und die Gestaltung von Smart Advanced Services (SAS) auf Basis von künstlicher Intelligenz. Die Ergebnisse sollen in praxis-orientierte Anwendungsfällen umgesetzt und getestet werden. Anwendungsfälle betreffen beispielsweise die digitale Vorbereitung von Prüfverfahren sowie die digitale Erstellung von Terminplänen, die Echtzeitüberwachung von Baustellen oder die transparente und effiziente Dokumentation des Baufortschritts. Bestehende Standards sollen in die jeweiligen Projekte integriert werden und technologische Spezifitäten identifiziert. Auch der Datenaustausch mit den damit zusammenhängenden Themen wie Urheberrecht, Berechtigung und Rechtever- bzw. vergabe und Vergütung soll dabei begutachtet werden.
Auf diese Weise sollen Leuchtturmprojekte kreiert werden, die – nicht nur – der Baubranche zeigen, dass es ein digitales Ökosystem gibt, das jedem, der Daten einspeist oder nutzt, eine Win-Win-Situation ermöglicht. Dies soll nicht nur dazu beitragen, die Bereitstellung von Daten für den Gebäudebetrieb zu verbessern. So soll auch ein europäisches Ökosystem kreiert werden, dessen Wissensschatz und Datenhoheit in Europa bleibt.
23.11.2022