Straßen werden nach Regelquerschnitten (siehe Bild 1) geplant. Beginnend bei einer Achse für die Lage und einer Gradiente für die Höhe, werden Lage und Höhe der Fahrbahnränder stationsweise nach Regeln oder Bedingungen berechnet. Dazu gehören mindestens die Fahrbahnbreite und die Querneigung. Weitere Punkte des Aufbaus werden abhängig von den Fahrbahnkanten und den Geländeanschlüssen berechnet. Die zu berechnenden Stationen werden vom Planer oder vom Planungsprogramm in Abhängigkeit der Kurvigkeit von Achse und Gradiente und weiteren Bedingungen bestimmt. Als Ergebnis entsteht eine Folge von Profilen, die den Straßenkörper beschreiben. Bild 2 zeigt beispielhaft die perspektivische Ansicht eines Wirtschaftsweges mit Innenrandverbreiterung mit Profilen im Abstand von 2m. Unten befindet sich das Planum mit Urgeländeanschluss, darüber eine Frostschutzschicht und oben die Betondecke.
Verbindet man Profilpunkte gleicher Bedeutung entlang der Achse, entstehen dreidimensionale Linienzüge, die je nach Software und Sprachraum verschieden benannt werden. Im Beispiel sind die Oberkanten der Betondecke von der Entwurfssoftware Civil3D durch rote "Elementkanten" verbunden. Im englischsprachigen Original heißen sie "Feature Lines". Weitere gebräuchliche Bezeichnungen sind Designlinien, Topolinien oder 3D-Polylinien. Als übergreifender Terminus wird in diesem Umfeld der Begriff "Linestring" verwendet. Weitere linienförmige Teile einer Straße wie Gerinne in Rohrleitungen, Wildzäune, Schutzeinrichtungen, Medienleitungen lassen sich ebenfalls mindestens als 2D-Linestrings darstellen.
Austausch von dreidimensionalen Linienzügen
Allen diesen Linestrings ist gemeinsam, dass sich ihre Geometrie als simple Folge von Koordinatentripeln (oder Tupeln im Falle 2D) darstellen lässt. Hier, für das dargestellte Beispiel, ein Teil der linken oberen Betonkante:
…
4475674.4330,5742533.6790,69.8008
4475676.3468,5742534.3556,69.8050
4475678.2769,5742534.9842,69.8088
…
Diese einfachste aller 3D-Strukturen lässt sich in allen CAD-Programmen verarbeiten. Die allfälligen Metadaten wie Projekt, Horizont, Einheiten, Koordinatensystem könnten dabei in Kommentarzeilen übergeben werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass hierfür nicht auf reiner Zahlenbasis ausgetauscht werden muss, sondern fast immer 3D-Polylinien im Quasi-Industriestandard DXF ausgetauscht werden können. In diesem Falle könnten die Metadaten im Layernamen abgelegt werden. Für den Austausch von Linestrings im LandXML-Format hat z.B. die finnische Straßenbauverwaltung für ihren Verantwortungsbereich einen Standard definiert (https://buildingsmart.fi/infra/inframodel/index.html).
Damit ist die unterste und einfachste Ebene des Datenaustausches und seine größte Breite ohne unvermeidlichen Informationsverlust erreicht. Die Linestrings sind trotz ihrer einfachen Struktur nicht minderwertig. Sie können das komplette Bauwerk mindestens im Rahmen der Ausführungstoleranzen vollständig modellieren. Linestrings sind Basiselemente für Digitale Geländemodelle, Volumenmodelle, Mengenermittlungen und weitere 3D-Konstruktionen und für die Vermessung. Moderne Vermessungssoftware lädt Linestrings, stellt diese als Trasse zur Verfügung und lässt eine kontinuierliche bzw. wahlfreie Absteckung und Kontrolle zu. Mehrere Linestrings können zu Oberflächen kombiniert werden, ohne dass zu digitalen Geländemodellen (DGM) vermascht werden muss.
Kollaboration wird erleichtert
Damit stünden die wesentlichen Ergebnisse einer Planung auch allen Partnern zur Verfügung, die nicht über Trassierungsprogramme verfügen. Die Kollaboration als BIM-Prinzip würde in größter Breite bedient werden können. Das schließt nicht aus, dass im Falle der Anwendbarkeit auch "intelligentere" Formate bis zu Design-to-Design-Lösungen eingesetzt werden. Selbstverständlich müssen Profis, die im Straßenbau unterwegs sind, über Trassierungskomponenten in ihrer Software verfügen. Eine Trasse (Achse + Gradiente) als eleganteste Form einer Raumkurve im Straßenbau lässt sich nur verlustbehaftet als Linestring darstellen, wenn auch in einem wählbaren Genauigkeitsbereich. Es gibt etliche KMUs, die den personellen und finanziellen Aufwand für den Einsatz einer Trassierungssoftware nicht schultern können und eigentlich auch nicht müssen, weil ihr Portfolio nur selten die Arbeit mit Trassen voraussetzt. Auch BricsCAD- oder AutoCAD LT-Nutzer sollten z. B. vom digitalen Mehrwert der modernen Straßenplanung profitieren können. Aber auch im professionellen Umfeld lassen sich Linestrings nutzbringend verwenden.
Sowohl bei Datenübernahme als auch bei Datenübergabe ist Variabilität und Vielsprachigkeit gefordert. Wir müssen uns nicht für jeden Anwendungsfall auf ein Format einigen, wir müssen „multilingual“ sein. Jedes Format hat seine Geschichte, seine Berechtigung, seine Verbreitung, seine Vor- und Nachteile. Aber kein Format repariert inhaltliche Mängel. Entscheidend für einen erzielbaren digitalen Mehrwert ist die inhaltliche Qualität der digitalen Datenquellen.
Autoren
Bruno Timme | digital project support
Stefanie Samtleben | Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF
Mit einigen speziellen Problemen des Datenaustausches wird sich auch eine Reihe von Kurzvorträgen und Videos befassen, die über das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Planen und Bauen publiziert werden.
Die nächsten Themen lauten:
- Umwandlung und Arbeit mit Linestrings in AutoCAD pur
- Linestrings in AutoCAD Cilvil3D als Achse, Gradiente, Bruchkante, …
- Linestrings bei Leica und inframodel.fi
- Bereinigung von Zeichnungsartefakten mit AutoCAD MAP und MI (Menschlicher Intelligenz)
- Generierung von Linestrings aus 2D-Zeichnungen und DGMs
(Gegeben durch die programmtechnischen Voraussetzungen beim Verfasser basieren alle Beiträge auf Lösungen von Autodesk. Es sind aber alle Planer eingeladen, Ansätze und Lösungen für den Austausch von Linestrings auf der Basis anderer Autorensysteme vorzustellen.)
30.09.2021